BIOSCOPE - Gentö
VÖ: 22.08.2025
(earMusic/Edel)
Genre: Krautrock/Prog/Elektronik
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BIOSCOPE
Manchmal finden Musiker zusammen, die so scheinbar auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Im Fall der beiden Recken vor allem, dass sie niemanden mehr etwas beweisen müssen, dass ihr Platz in den Geschichtsbüchern schon gesichert ist. Steve Rothery lässt es in seiner Rolle als Gitarrist von MARILLION mittlerweile ruhiger angehen, sucht dafür aber das eine oder andere Abenteuer. Das fand er mit Thorsten Quaeschning, dem federführenden Kopf von TANGERINE DREAM seit dem Tod von Edgar Froese, der zuletzt unglaublich produktiv war. Gemeinsam erforsche sie die Gemeinsamkeiten ihrer beiden Genres, das erste Ergebnis von BIOSCOPE liegt nun mit „Gentö“ vor.
Um einen geeigneten Sänger mussten sich die beiden keine Gedanken machen, denn das Werk ist rein instrumental gehalten, so dass sich jeder auf sein Fach konzentrieren kann. Mit Alex Reeves von ELBOW hat man sich einen realen Drummer gesichert, welcher sich zudem mit sphärischen Klangwelten auskennt. Jener ist nur im abschließenden „Kaleidoscope“ bewusst zu vernehmen, welches auch der einzige Track ist, bei dem Rotherys Gitarre kerniger zu Werke gehen darf. Ein wenig erinnern die Riffs an MARILLION um die Jahrtausendwende wie „Between You And Me“. Dabei fällt dieses Stück gegenüber allen anderen aus dem Rahmen, weil es sich durchaus rockig nach vorne bewegt.
Zumindest das vorwärts gewandte Attribut lässt sich noch auf den Titelsong münzen, dessen Sequenzer sich hier immer weiter steigern. Hier pulsiert es von Beginn an, was den Hörer in einen hypnotischen Sog zieht, wobei klar wird, dass die Elektronik von Quaeschning hier klar federführend ist. Da puckert und wabert es, immer wieder ziehen kleine Synthesizerschwaden oder feine Leads des Saitenvirtuosen vorbei, oft von irgendwo verhallt.
Die übrigen drei Lieder teilen sich in mehrere Parts auf, wobei der Titel von „Vanishing Point“ perfekt gewählt ist. Dessen erster Teil schwebt ohne jegliche Rhythmusspur nur dahin, die Flächen breiten sich aus und umarmen sanft, alles so weit weg wie ein verschwindender Punkt am Horizont. Erst zu dessen Ende kommt der Brite ins Spiel, wenn er dichte Arpeggios zu den sanften Beats setzt, nur um im dritten Abschnitt zehn Minuten zu gleiten.
Der Aufbau erinnert an die Improvisationskunst von Quaeschnings Mentor Froese, wahlweise jedoch auch an MIKE OLDFIELD. Wie hier wunderbar die Motive ineinanderfließen, sich ohne Übergänge abwechseln, von irgendwo herkommen, um dann wieder ins grenzenlose zu entfliehen ist ganz traumhaft arrangiert. Manchmal zieht Rothery seine Töne ganz lang und lässt so floydige Welten mit hinein, im zweiten Teil von „Kinetoscope“ kontrastiert er gut die Sequenzer. Seine Handschrift wird im ersten Drittel von „Bioscope“ am deutlichsten sichtbar, wenn manches wie von „Misplaced Childhood“ entlehnt klingt.
In dessen letzten Part perlen die Synths wunderschön herab und bringen diese meditativ entrückte Stimmung zum Tragen, die BIOSCOPE hier genial zaubern. Man muss sich natürlich darauf einlassen, sich bewusst sein, es hier mit viel Berliner Schule tun zu haben, aber es lohnt sich definitiv zu entdecken. Offene Proghörer mit Faible für Atmosphäre werden hier sicher ihre Freude dran haben. Zugang findet man sehr schnell, weil hier zwei Könner am Werk sind, die verstehen jeden Ton optimal zu setzen, was bei dem leisen Tempo nicht einfach ist. Man darf gespannt sein, wie es nach „Gentö“ weiter geht, im Dezember soll es eine kleine Tour geben, das Debüt ist vielversprechend.
8 / 10